Ein erster Vergleich

Zuerst sollen die augenscheinlichsten Parallelen und Unterschiede diskutiert werden.

Konsensuale Konfliktlösung

Man betrachte die folgende Definition:

„Ein Konsens-basierter Konfliktlösungs-Ansatz mit starker Betonung der Eigenverantwortung einerseits und des Akzeptierens andererseits, bei dem alle Konfliktbeteiligten gemeinsam zu einem Zustand gelangen sollen, der für sie tragbar und zukunftsfähig ist. Eine positive persönliche Entwicklung aller Beteiligten sowie ihrer Beziehung ist gewünscht.“

Für den Autor ist diese Definition sowohl für Mediation als auch für Aikido zutreffend. Dabei ist zu beachten, dass insbesondere der Konfliktbegriff aus der Perspektive der Mediation und des Aikido unterschiedlich interpretiert beziehungsweise unterschiedlich verwendet wird. In der Mediation geht es häufig um längerfristige Angelegenheiten, bei denen sich widersprechende Interessen – vielleicht auch nur scheinbar widersprechend – vorliegen oder aber die Empörung über eine empfundene Normverletzung. Im Aikido steht der Konfliktbegriff nicht im Vordergrund.

Auf der Matte wird der Umgang mit physischen Angriffen trainiert, sodass die zugehörige Sachlage deeskaliert wird und der Angreifer ohne Gesichtsverlust aus der Situation herauskommt. Der „Ernstfall“ setzt schon eine Konfliktsituation voraus, die dem ursprünglichen Angriff als Motivations-Grundlage dient. Diese wird im Aikido-Training nicht explizit bearbeitet. Vielmehr liegt für diesen Aspekt der Ansatz in der langfristigen Weiterentwicklung der Persönlichkeit des Aikidoka. Über seine Haltung und seine wahrnehmende Integration mit seiner Umgebung lässt er Konflikte gar nicht erst aufkommen beziehungsweise eskalieren.

Der Wechsel von einem „Gegeneinander-Denken“ zu einer „Gemeinsamen Lösungssuche“ ist eines der Wesensmerkmale der Mediation. Dies ist auch im Aikido essentiell. Der wesentliche Unterschied liegt im Wesen der jeweilig typisch behandelten Situation. Die einzelne Aikido-Bewegung behandelt eine sehr kurzzeitige Sachlage, die Mediation eine eher mittelfristige Konfliktlage, das Aikido-Training als „Do“ den langfristig anlegten Wechsel auf eine Haltung des Miteinanders.

Wo ist der Mediator?

Ein augenscheinlicher Unterschied zwischen Mediation und Aikido scheint die Anzahl der Teilnehmer zu sein. Im Aikido sind typischerweise zwei Personen beteiligt: der Angreifer und der Aikidoka. In der Mediation sind es typischerweise drei: zwei Konfliktparteien und der Mediator.

Betrachtet man die Situation im Aikido genauer, dann stößt man auf (mindestens) drei Rollen. Auf der einen Seite steht der Angreifer, der – aus welchem Grund auch immer – einen Angriff startet. Für ihn ist der Aikidoka der „Feind“ oder zumindest „die Gegenseite“, auf jeden Fall das Ziel des Angriffs. Aus Perspektive des Angreifers gibt es genau diese beiden Rollen. Für ihn handelt es sich um einen Kampf.

Der Aikidoka interpretiert die Situation anders. Er sieht den Angreifer als jemanden an, dem man – sowohl mit der notwendigen Rücksicht aber auch mit dem zu Gebote stehenden Nachdruck – wieder zur eigenen Balance zurückhelfen möchte. Für den Verteidiger liegt eine zu behandelnde Sachlage vor, die es zu deeskalieren gilt, ohne dass jemand zu Schaden kommt. Trotzdem akzeptiert er die Tatsache, dass der Angreifer ihn als Gegenseite wahrnimmt. Für den Aikidoka gibt es demnach drei Rollen: den Angreifer, den Angegriffenen aus der Sichtweise des Angreifers (Gegenseite) und die Innensicht des Aikidoka, also den Behandler der Gesamtlage. Innen- und Außenwahrnehmung des Aikidoka sind also weit voneinander entfernt. Man könnte sogar so weit gehen, dass das „aus der Linie treten“ des Kampfkünstlers symbolisch seinem Rollenwechsel entspricht. Er steigt aus der Kampfsituation aus und in die Rolle desjenigen hinein, der die neue Mitte der gemeinsamen Situation darstellt. Die Analogie zur Mediation drängt sich auf.

Diese Darstellung entspricht auch dem Ansatz der integrierten Mediation, bei der es um das Einbinden des Mediations-Ansatzes in andere Verfahren und Strukturen von Gerichtsverfahren bis Psychotherapie geht. Hier gilt die Aussage, dass es genügt, wenn die Mediation „im Kopf eines der Beteiligten abläuft“ .

Mediation und Aikido sind nicht das Gleiche

Mediation und Aikido sind nicht identisch. Auf der Matte gibt es Körperkontakt, physische Nähe, Arbeit mit der somatisch-taktilen Ebene. Das gibt es in der Mediation typischerweise nicht. Allerdings ist zu bedenken, dass die wirklich interessanten Aspekte von Kontakt vor allem auf der mentalen Ebene stattfinden. Hier sind Mediation und Aikido wieder analog.

Aikido ist japanisch östlich geprägt mit viel Betonung auf der Etikette. Die westliche Mediation ist anders geprägt, gerade das Havard-Konzept als Grundlage für Interessen-basiertes Verhandeln muss für den östlichen Kulturkreis passend adaptiert werden. Betrachtet man die Etikette im Aikido als eine äußere Übungsform, bei der es um die Unterstützung der Entwicklung der passenden Haltung geht, dann tritt dieser kulturelle Unterschied hinter die Zielsetzung der weltweiten Verbreitung des Harmonie-Ziels und ist weniger schwerwiegend zu gewichten.

Die Unterschiede zum Konfliktbegriff und den zeitlichen Skalen sind bereits oben herausgearbeitet. Dazu ergänzend die zunächst rhetorische Frage, ob das Aikido-Training an sich mit einer permanenten Mediation zwischen den Teilnehmern vergleichbar ist, oder mindestens mit einem permanenten Mediations-Training?

zurück zu: Vergleich Vergleich der Zielsetzungen(weiter)