Die verschiedenen Ebenen im Aikido

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass Aikido ein sehr komplexes Umfeld mit sich bringt. In diesem zusammenfassenden Abschnitt sollen verschiedene Ansätze versucht werden, um ordnende Strukturen darzustellen.

Die Struktur der Lerninhalte

In diesem Abschnitt wird Aikido nach den Inhalten geordnet, mit denen man sich in seinem „Mattenleben“ beschäftigt. Dabei schließt jede Arbeit auf der „höheren“ Ebene auch die Weiterentwicklung auf den darunterliegenden mit ein.

  1. Die Ebene der Technik

    Die erste Ebene ist diejenige der Technik. Die physischen Abläufe werden studiert, zum Beispiel Schritte, Drehungen und Griffe. Die Steuerung erfolgt bewusst durch den Verstand, sodass insbesondere auch eine Aufteilung der Bewegungen in einzelne Schritte erfolgt.

    Diese Ebene ist nicht nur der typische Einstieg ins Aikido sondern auch später beständiger Teil der weiteren Entwicklung. Entsprechend wird die technische Seite beständig verbessert, bleibt aber „nur die Basis“ der folgenden Stufen. Hierbei werden auch die Prinzipien und Hintergründe des Aikido noch nicht sichtbar.

    Dies ist die Ebene der physischen Selbstverteidigung .

  2. Die Ebene der Energie

    Wenn die Bewegungs-Abläufe grundlegend verstanden sind, beginnt die Arbeit mit der Energie. Die einsetzende Dynamik ermöglicht eine beginnende Weichheit, sodass ein Fluss entstehen kann. Dieses Fließen ist sowohl in den Bewegungen selbst zu sehen, wird aber auch als erster Zugang zur eigenen inneren Energie, dem Ki, evident.

    Das Spüren des Partners wird möglich, der Aikidoka ist aber physisch noch sehr präsent und gibt selbst recht viel Energie zur Extension dazu.

  3. Die Ebene der Aufmerksamkeit

    Die nächste Ebene beschäftigt sich mit der Steuerung des Fokus. Wohin legt man die eigene Aufmerksamkeit und wie kann man das einsetzen, um Konfrontationslosigkeit auszubauen und zu fördern. Der Ausbau der Konzentration auf die eigene Mitte, das Herstellen der Verbindung zum Partner und das Arbeiten mit der Aufmerksamkeit des Partners sind in dieser Ebene angesiedelt. Korreliert mit dieser Stufe ist besonders der Ausbau der eigenen Präsenz.

    Die Reaktion auf einen Angriff ist frei und folgt der Angriffsenergie. Die Aufmerksamkeit ist aber noch lokalisiert auf Energien, Richtungen und gegebenenfalls Techniken. Der Autor verwendet für diese Stufe den Begriff „Attention based Aikido“ oder „Focus based Aikido“.

  4. Die Ebene der absichtslosen Intention

    Diese Begrifflichkeit dient insbesondere zur Abgrenzung der jetzt folgenden Stufe, dem „Intention based Aikido“. Auf dieser Ebene geht es letztendlich um das Erreichen der Absichtslosigkeit oder dem Zustand der Leere (Mushin oder Muga). Es handelt sich um ein völliges „im Hier und Jetzt Sein“.

    Dieser Zustand ist schwierig zu erreichen. Ein Schritt auf dem Weg dorthin besteht darin, die grundlegende Intention von der aktuellen Absicht zu trennen. Die aktuelle Absicht bezeichnet den kognitiven Eingriff in die nächste bevorstehende Handlung, beispielsweise eine bewusste Entscheidung, welche Technik als nächstes ausgeführt werden soll. Die Intention bezieht sich auf die zu Grunde liegende Haltung.

    Auf dieser Ebene ist der Aikidoka völlig frei, was als nächstes passiert. Er verkörpert die Prinzipien und steht mit seiner Haltung und Präsenz für die Ziele im Aikido: Erzeugen von Harmonie und Vermeiden von Verletzung aller Beteiligten (physisch und psychisch). Dieser Aspekt ist mit „Intention“ gemeint. Darüber erklärt sich die „absichtslose Intention“ aus der Überschrift.

    Genauso ist es auf dieser Ebene für den Aikidoka grundsätzlich unerheblich, ob er gerade angegriffen wird oder nicht. Für die zu Grunde liegende Intention macht es keinen Unterschied, eine Absicht existiert nicht. Basis dafür ist der Sieg über sich selbst. Wenn dieser errungen ist, wird das für einen potenziellen Angreifer evident werden und er kann erkennen, dass ein Angriff aussichtslos ist. Er kann spüren, dass von ihm eingebrachte Energie quasi als natürliche Konsequenz wieder auf ihn zurückgeführt werden wird. Es wird evident, dass der Angriff an sich den Verlust der Balance des Angreifers darstellt.

Die transformativen Ebenen

Aikido bringt auf jeden Fall eines mit sich: Veränderungen. Auch diese lassen sich verwenden, um das Aikido zu strukturieren. Interessanterweise sind sie eng mit den jeweiligen Zielsetzungen verknüpft, die passend mit aufgeführt werden.

  1. Die kurzzeitige Veränderung in einer Selbstverteidigungs-Situation

    Eine einzelne Auseinandersetzung „auf der Straße“ ist typischerweise von kurzer Dauer, d.h. in der Größenordnung von Sekunden oder Minuten. Die vom Aikido angestrebte Veränderung besteht darin, diese Situation von einem konfrontativen Kampf in eine kooperative Lösungs-Suche zu verwandeln.

    Die Zielsetzung liegt darin, dass keiner zu Schaden kommt, die aggressiven Energien reduziert werden und die Konfliktsituation deeskaliert oder im besten Fall aufgelöst wird.

  2. Die langfristige Beziehungsänderung durch gemeinsames Training

    Die wenigsten Aikidoka werden in ihrem Leben eine physische Selbstverteidigungs-Situation tatsächlich erleben. Das tägliche Erleben von Aikido findet im Dojo statt. Dabei ist eine Veränderung der Beziehung zwischen den Trainings-Partnern zu beobachten. Die gegenseitige Verantwortung sowie die intensive Arbeit miteinander führen zu Nähe, die Entwicklung von Aufmerksamkeit zu intuitiver Verständigung. Die Bereitschaft auch mit Leuten zu trainieren, die „einem nicht so liegen“, führt zu der Möglichkeit von Beziehungen zwischen Menschen, die sich sonst eher aus dem Weg gegangen wären.

    Mit fortgeschrittenem Aikido-Training auf der Matte wird auch der Übertrag in Kommunikations-Situationen des täglichen Lebens einfacher und findet für manche Aikidoka „fast automatisch“ statt. Das Einnehmen der Perspektive des Gegenübers unter Akzeptieren der jeweiligen Person und ohne Aufgabe des eigenen Standpunkts wird automatisiert. Dies wird sowohl auf der Matte als auch darüber hinaus zur essentiellen Basis, um die andere Seite zu verstehen und Win-Win-Lösungen zu generieren.

  3. Die Veränderung des übenden Individuums

    Die Weiterentwicklung des Individuums ist ein erklärtes Ziel im Aikido. Die Wichtigkeit der Präsenz, der Authentizität und das Erreichen des Siegs über sich selbst sind an verschiedenen Stellen hinreichend betont worden. Die jeweiligen Entwicklungsziele lassen sich auch aus der Ebenen-Struktur des vorangehenden Abschnitts ableiten und verstehen, in dem die Entwicklung von Technik, Energie, Präsenz und Erleuchtung erklärt werden. Die Betonung der Budo-Tugend des „Anfängergeists“ gibt diesem Aspekt weitere Emphase.

    Dazu passend wird ein weiterer wichtiger Wechsel bei Stenudd beschrieben. Es ist der Übergang vom „Können wollen“ zum „Lernen wollen“.

  4. Die Veränderung einer Gesellschaft, in der Aikido geübt wird

    Der Anspruch der Veränderung hört nicht beim Individuum auf. Jeder Einzelne ist dazu aufgefordert, über die eigene Weiterentwicklung das Miteinander, die Kooperationsbereitschaft und Konsensualität in der Gesellschaft voranzubringen.

    Das ist eng verbunden mit der Aussage von O’Sensei: „The purpose of Aikido is to bring out the best in people“. Spätestens hier verlässt das Aikido von ganz allein das Dojo. Und das ganz gemäß dem Leitspruch: „the purpose of conflict is harmony“ .

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